5 Fragen (4)
06.08.2023
Sie sind Wissenschaftler und leidenschaftlicher Bienenforscher. Was hat Sie dazu animiert, diese App zu entwickeln?
Prof. Jürgen Tautz: Der Auslöser war ein richtiger Schock. In einer Befragung konnten Kinder und Jugendliche problemlos Dutzende Logos den entsprechenden Firmen zuordnen. Die meisten mussten aber passen, wenn es darum ging, fünf einheimische Baumarten zu nennen. Nun bin ich zwar nicht der Ansicht, obwohl ich Biologe bin, dass sich jeder mit Pflanzen- und Tierarten auskennen muss. Da aber die schwindende Biodiversität, wenn sie nicht aufgehalten wird, die Menschheit in eine Lage bringen wird, die die Probleme rund um den Klimawandel noch in den Schatten stellen wird, halte ich Grundkenntnisse auf diesem Gebiet und die Einsicht, wieso man sich damit beschäftigen sollte, für unverzichtbar. Denn wie sollen wir von jungen Menschen erwarten, dass sie etwas schützen und schätzen, wenn sie es nicht kennen? Und da die Jugend mit dem Smartphone lebt, ob einem das gefällt oder nicht, haben wir da angesetzt.
Und was mache ich mit der App, wie funktioniert beeactive?
Prof. Jürgen Tautz: Zu Spielbeginn platzieren die Nutzer mittels augmented reality (AR) Bienenvölker an jeden beliebig ausgewählten Standort. Dann wird der Nutzer selbst zu einer Sammelbiene, indem er wie eine richtige Biene Nektar und Pollen in sein Bienenvolk einträgt. Die Blütenbesuche bestehen dabei im Fotografieren von Blühpflanzen. Dafür wird eine Schnittstelle zu Flora Incognita, einer KI gestützten App zur Pflanzenbestimmung, genutzt. Je mehr Blüten fotografiert werden (die Menge machts) und je mehr unterschiedliche Blumen erfasst werden (die Artenvielfalt machts), desto besser geht es dem Bienenvolk – wie im richtigen Leben.
Der virtuell erzeugte Honig kann zur Erweiterung der Bienenvölker oder zum Tausch verwendet werden. Das hierbei vermittelte Wissen über die heimische Flora trägt dazu bei, die Artenkenntnis der Nutzer zu verbessern. Über seine erfassten Pflanzen kann sich jeder Nutzer ein eigens Herbarium anlegen. Eine interaktive Blühkarte bildet alle Funde der Nutzer ab.
Ein schöner Nebeneffekt ist ja, dass die Kinder und Jugendlichen nicht nur jede Menge über Pflanzen erfahren, sondern auch über Honigbienen, nicht wahr?
Prof. Jürgen Tautz: Honigbienen und die Blütenpflanzen, die von ihnen bestäubt werden, sind unauflösbar miteinander verbunden. Diese Symbiose ist wiederum selbst wichtiger Bestandteil eines großen Netzwerkes in der Natur, in das auch wie Menschen eingebunden sind. Mit beeactive lässt sich der Jahresverlauf der Lebensbedingungen der Honigbienen erleben. Man erlebt ganz direkt, welche Folgen für ein Bienenvolk es hat, wenn viele und unterschiedliche Blüten besucht werden, oder eben auch nicht. Die beeactive Plattform selbst bietet viel abrufbares Hintergrundwissen und Zusatzinformation über das Leben der Honigbienen.
Warum ist es Ihnen so wichtig, dass an den Schulen Wissen über Bienen, speziell die Honigbiene vermittelt wird?
Prof. Jürgen Tautz: Die Honigbiene ist ein geniales „trojanisches Pferd“. Man kann sich keinen besseren Verbündeten vorstellen, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche zum Zuhören und – wie bei beeactive – zum Mitmachen zu bewegen. Honigbienen faszinieren durch ihre Lebensweise und sind unverzichtbar in ihrer Bedeutung für die Natur und für uns Menschen. Wenn anhand der Honigbiene begriffen wird, wie eng alles mit allem in der Natur zusammenhängt und wie zerbrechlich das alles ist, bleibt es nicht ohne Folgen für das eigene Tun und Handeln. Beeactive vermittelt keine trockene Theorie, sondern macht Natur erlebbar und zeigt, welche Folgen das eigene Tun oder Nicht-Tun hat. Die durchweg begeisterte Reaktion von Lehrer:innen und Schüler:innen auf beeactive spricht sehr dafür, dass wir mit diesem Projekt einen Nerv getroffen haben.
Was fasziniert Sie persönlich so an Bienen?
Prof. Jürgen Tautz: Ich bin „klassischer Zoologe“ und habe mich in mehr als fünf Jahrzehnten mit einer Vielzahl an Tierarten befasst. Keine hat mich so in den Bann gezogen wir die Honigbiene. Die Tatsache der Staatenbildung und dabei die Zusammenarbeit vieler an sich unabhängiger Individuen ist atemberaubend. Für einen Wissenschaftler bleibt es auch dann besonders attraktiv, wenn es noch viel ungeklärte Fragen gibt. Das ist bei den Honigbienen der Fall. Wir verstehen schon vieles, aber noch viel mehr verstehen wir noch nicht. Immer wieder neue Forschungsmethoden, aber auch neue Blickwinkel (z.B. hier https://www.knesebeck-verlag.de/die_sprache_der_bienen/t-1/964 ) bringen unser Wissen voran. Es gibt noch viel zu tun.
Foto: Ingo Arndt