5 Fragen (2)

17.07.2023

Petra Pintscher

Die rätselhafte Ur-Blüte
Der Ursprung der Blütenpflanzen ist ein ungelöstes Rätsel in der Biologie. Der Schweizer Botaniker Prof. Dr. Jürg Schönenberger aus dem Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien koordiniert internationales Forscherteam, das sich mit der Ur-Blüte befasst und sie rekonstruiert hat. Eine Sonderausstellung im Botanischen Garten München-Nymphenburg widmet sich derzeit der „Naturgeschichte der Blüten“.

Wie alt ist denn eigentlich die Ur-Blüte und wo genau könnte sie denn ihre Farben- und Formenpracht entfaltet haben?

Prof. Dr. Jürg Schönenberger: Genau genommen, bezeichnet der Begriff „Ur-Blüte“ die Blüte des letzten gemeinsamen Vorfahren aller heute lebenden Blütenpflanzen, und dieser Vorfahre muss vor gut 140 Millionen Jahren, d.h. in der Kreidezeit (Zeitalter der Dinosaurier), gelebt haben. Wo genau auf der Erde dieser Vorfahre lebte, ist nicht bekannt und ist bis jetzt auch nicht untersucht worden.

Wie darf man sich diese Blüte vorstellen?

Prof. Dr. Jürg Schönenberger: Ähnlich wie die meisten heute lebenden Blüten, war die Ur-Blüte zweigeschlechtlich und bestand aus einer äußeren Blütenhülle aus in Dreierkreisen angeordneten Organen und den inneren Fortpflanzungsorganen, d.h. den männlichen Staubblättern und den weiblichen Fruchtblättern. Die Organe der Blütenhülle und auch die Staubblätter waren in Dreierkreisen angeordnet.

Ist die Ur-Blüte mit den Blüten heutiger Pflanzen vergleichbar?

Prof. Dr. Jürg Schönenberger: Die Ur-Blüte ist durchaus mit den Blüten heute lebender Blütenpflanzen vergleichbar. Sie bestand aus denselben Blütenorganen und funktionierte sehr wahrscheinlich auch auf sehr ähnliche Art und Weise. Sie unterschied sich aber in der Zusammensetzung ihrer verschiedenen Merkmale von allen heute lebenden Blüten. Obwohl Blütenmerkmale wie die Größe, die Farbe oder der Duft nicht rekonstruiert wurden, geht die Wissenschaft davon aus, dass die Ur-Blüte eher klein war und mit Hilfe ihrer Farbe und ihres Duftes Insekten als Bestäuber angelockt hat, wie das auch die meisten der heute lebenden Blütenpflanzen tun.

Warum gibt der Ursprung der Blütenpflanzen so viele Rätsel auf?

Prof. Dr. Jürg Schönenberger: Die Diversität heute lebender Blüten ist riesig, und mit mehr als 300 000 bekannten Vertretern sind die Blütenpflanzen die mit Abstand artenreichste Gruppe heute lebender Pflanzen. Bis vor ca. 25 Jahren hatte die Wissenschaft nur ein sehr ungenaues Bild über die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der Blütenpflanzen. Die Kombination dieser beiden Aspekte (eine riesige Diversität und gleichzeitig unzureichende Kenntnisse der Verwandtschaftsverhältnisse) haben es bis vor wenigen Jahren unmöglich gemacht, die Ur-Blüte zu rekonstruieren. Hinzu kommt, dass Pflanzen und insbesondere ihre Blüten, nur relativ selten als Fossilien erhalten bleiben und die Wissenschaft dementsprechend nur vergleichsweise wenige Blütenfossilien aus der frühen Evolutionsgeschichte der Blütenpflanzen kennt. In anderen Verwandtschaftsgruppen, wie zum Beispiel Dinosauriern oder Insekten, spielen Fossilien eine sehr viel wichtigere Rolle in der Rekonstruktion ihrer frühen Evolutionsgeschichte.

Wie wegweisend sind die Ergebnisse Ihres Forschungsprojekts?

Prof. Dr. Jürg Schönenberger: Die Studie eröffnet einen neuen Blickwinkel auf die frühesten Phasen der Blütenevolution und liefert ein einfaches, plausibles Szenario für die Evolution der spektakulären Formenvielfalt der Blüten heute lebender Blütenpflanzen. Die Studie stellte auch vieles, was früher über die Evolution der Blüte geschrieben und gelehrt wurde, auf den Kopf. So haben die ForscherInnen beispielsweise herausgefunden, dass die Blütenhülle der Ur-Blüte aus mehreren dreizähligen Kreisen (konzentrisch angeordnete Wirtel) von Blütenhüllorganen hatte. Dieses Ergebnis ist besonders bedeutend, weil viele BotanikerInnen der Auffassung waren, dass in der ursprünglichen Blüte alle Organe spiralig angeordnet waren, ähnlich wie die Samenschuppen eines Kiefernzapfens.

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