5 Fragen (1)

31.05.2023

Petra Pintscher

Was ist eigentlich Flora Incognita?
Natürlich wollen wir, wenn wir in der Natur spazieren gehen, nicht ständig auf das Smartphone oder Tablet schauen. Aber andrerseits interessiert uns ab und an doch die ein oder andere Pflanze, die wir nicht kennen, oder nicht? Die Neugier siegt und dank der Pflanzenbestimmungs-App Flora Incognita werden wir auch auf dem Gebiet immer schlauer. Dr. Jana Wäldchen war als Projektleiterin in der Abteilung Biogeochemische Integration (BGI) des Max-Planck-Instituts maßgeblich an der Entwicklung der App beteiligt. Mit ihr starten wir unsere Reihe 5 Fragen an 5 Wissenschaftler:innen.

Mit der App können selbst wir Laien Pflanzen automatisch bestimmen. Inzwischen nutzen auch Schulen und Umweltbildungseinrichtungen die App. Wie kam das?

Dr. Jana Wäldchen: Akkurate Pflanzenbestimmung war lange nur den Expert:innen vorenthalten. Als Biologin musste ich während meines Studiums und auch während meiner Doktorarbeit oft Pflanzen bestimmen, und ich weiß wie schwer dies zum Teil ist. Das Ziel des Flora Incognita Projektes war von Anfang an, die Pflanzenbestimmung zu vereinfachen und so für viele Menschen die Wahrnehmung der pflanzlichen Vielfalt zu stärken.

Und wie funktioniert das alles?

Dr. Jana Wäldchen: Mit der von uns entwickelten Flora Incognita-App ist es möglich, einfach, schnell und auch ziemlich genau die Pflanzen zu bestimmen. Mit der Kamera des Smartphones fotografieren Sie die Blüte, dann eventuell noch das Blatt und in Sekundenschnelle erhalten Sie einen Vorschlag zum Namen der Pflanze sowie weiterführende Informationen, wie beispielsweise den lokalen Schutzstatus, wichtige Pflanzenmerkmale, Verbreitungsgebiete oder auch Hinweise zu ähnlichen, leicht zu verwechselnden Arten. Für Schulen und Umweltbildungseinrichtungen ist die App ein toller Einstieg in die Pflanzenbestimmung. Wir bekommen das Feedback, dass  die Schüler und Schülerinnen innerhalb von 30 Minuten bis zu 40 Arten in unmittelbarer Umgebung des Schulgebäudes finden.

Wie viele Pflanzen sind denn schon erfasst und wo liegen die Schwerpunkte?

Dr. Jana Wäldchen: An Wochenende bekommen wir pro Tag bis zu 600 000 Bestimmungsanfragen. Das ist enorm und zeigt das Interesse der Menschen, Pflanzen kennenzulernen und dem Unbekannten einen Namen zu geben. Der Schwerpunkt der App liegt auf Mitteleuropa, aber seit dem Frühjahr sind Pflanzen in ganz Europa, Afrika und Nordamerika erfasst. Derzeit kann die App mehr als 16 000 Arten bestimmen.

Welchen Nutzen hat die App für die Biodiversitätsforschung?

Dr. Jana Wäldchen: Die mit der App gesammelten Pflanzenobservationen sind nicht systematisch und geben nur das wieder, was die Nutzerinnen und Nutzer in der Natur sehen und wofür sie sich interessieren. Wir erhalten Informationen darüber, welche Arten in bestimmten Gebieten vorkommen. Wir können jedoch keine Aussage darüber treffen, ob bestimmte Arten nicht vorkommen. So werden häufige und sehr auffällige Arten öfter bestimmt als die seltenen und unauffälligen Arten. Nichtsdestotrotz können wir für einige Arten ähnliche Verbreitungsmuster erkennen wie bei der floristischen, deutschlandweiten und systematischen Kartierung. Das zeigt das Potenzial der App, die floristische Kartierung langfristig zu ergänzen. Aber es ist nicht nur interessant zu erfahren, wo Pflanzen vorkommen, sondern auch, wann sie blühen. Unsere Studien zeigen, dass die Daten der Flora Incognita auch sehr gut für das phänologische Monitoring verwendet werden können. Langfristig wird es möglich sein, Veränderungen der Phänologie von Pflanzen zu untersuchen, ein wichtiger Indikator für den Klimawandels.

Immer weniger Menschen können heute Pflanzen sicher erkennen. Kann die App dabei helfen, die Menschen für den Artenschutz zu sensibilisieren?

Dr. Jana Wäldchen: Die App ist ein leichter Einstieg in die Pflanzenbestimmung. Mit Hilfe der App ist nicht mehr alles nur Gras oder Unkraut. Das ist sehr wichtig für die Wahrnehmung von Biodiversität. Wir bekommen nicht nur das Feedback, wie gut die Erkennung ist. Viele Menschen schreiben auch, dass ihnen die einfache Bestimmung den Blick auf die Artenvielfalt erweitert hat. Kommentare wie „Endlich gehen wir nicht mehr blind durch den Wald!“ oder „Dank der App bleiben bei uns im Garten so einige Pflanzen stehen“ zeigen, dass mit der App ein wesentlicher Beitrag geleistet wird, die pflanzliche Diversität bewusst zu machen. Wir sind sehr froh, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Artenkenntnis ist eine wichtige Voraussetzung für den Artenschutz, denn nur was man kennt, möchte man auch bewahren.
Foto: Hannes Wiedemann 

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