5 Fragen (3)

18.07.2023

Petra Pintscher

Fleischfressende Pflanzen
Dr. Andreas Fleischmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator für Gefäßpflanzen der Botanischen Staatssammlung München. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Systematik und Evolution fleischfressender Pflanzen. Für seine besonderen Verdienste um die Umwelt wurde er mit der Bayerischen Staatsmedaille ausgezeichnet.

Viele Arten sterben aus, aber auch immer wieder werden neue entdeckt. Das gilt auch für fleischfressende Pflanzen. Warum ist das für Wissenschaftler so spektakulär?

Dr. Andreas Fleischmann: Leider sterben heutzutage durch den menschgemachten globalen Wandel und die Umweltzerstörung Arten schneller aus, als viele von ihnen entdeckt und von den Wissenschaftlern erfasst und studiert werden können. Wir verlieren täglich etwa 150 Pflanzen- und Tierarten auf unserem Planeten, die damit für immer ausgestorben sind! Demgegenüber werden jedes Jahr einige Tausend Pflanzen- und Tierarten neu entdeckt und von Wissenschaftlern beschrieben. Es ist also ein „Rennen gegen die Zeit“ – denn wir kennen erst einen kleinen Teil aller Pflanzen- und Tierarten der Erde. Wissenschaftler sind sich nicht einmal einig, wie viele Arten es auf diesem Planeten überhaupt gibt, Hochrechnungen gehen von 10-20 Millionen Arten aus, manche sogar von 100 Millionen Arten.

Derzeit bekannt und wissenschaftlich dokumentiert sind etwas weniger als 2 Millionen Arten – also wohl nur etwa 10 % der globalen Artenvielfalt. Und von den wenigsten Arten wissen wir, wofür sie „gut“ sind, sprich was deren Funktion im globalen Ökosystem ist. Jede Tier- und Pflanzenart hat eine Funktion im globalen Ökosystem, also einen „Job“, den nur diese Art machen kann – wenn diese Art ausstirbt, z.B. eine bestimmte Pflanze, dann sterben in einer Kettenreaktion auch immer noch weitere Arten aus, die von dieser Art abhängig waren, also z.B. auch die Insekten, deren Larven an der Pflanze gefressen haben, oder die deren Blüten als Nahrung besucht haben.

Wir verlieren also durch das Artensterben nicht nur Biodiversität (Vielfalt an Tieren und Pflanzen), sondern auch, was Wissenschaftler „Ökosystemleistungen“ nennen, also Funktionalität von Ökosystemen. Je mehr Arten ein Ökosystem enthält, desto stabiler ist dieses gegen Einfluss und Veränderung von außen. Und die globale Klimakatastrophe („Klimawandel“ suggeriert fälschlicherweise, dass das ein langsamer, gradueller Prozess wäre) ist eine massive Veränderung für die globalen Ökosysteme. Jede neu entdeckte Art, die wir Wissenschaftler erfassen und idealerweise vielleicht sogar einen Teil ihrer Biologie und Rolle im Ökosystem verstehen lernen können, ist daher ein großer Gewinn, wenn wir die Ökosysteme unseres Planeten (und damit auch unsere eigene Lebensgrundlage, denn auch wir Menschen sind nur ein Teil des globalen Ökosystems, wir stehen da nicht darüber!) verstehen, erhalten und schützen wollen.

Sie haben das kleinste bekannte Genom aller Blütenpflanzen, das der Knolligen Reusenpflanze, entdeckt. Was ist das Besondere daran?

Dr. Andreas Fleischmann: Das war eine Zufallsentdeckung. Es war seit 2006 bekannt, dass die Gattung Reusenpflanzen (Genlisea, eine fleischfressende Pflanzengattung, die in Südamerika und Afrika vorkommt) die kleinsten Genome im Pflanzenreich hat, d.h. für ihre gesamte Erbinformation am wenigsten „Speicherplatz“ benötigt. Unterschiedliche Arten der Reusenpflanzen haben aber unterschiedlich große Genome. Die Knollige Reusenpflanze ist eine neue Art aus Brasilien, die wir mit Kollegen aus Brasilien entdeckt und 2013 beschrieben haben. Deren Genom haben wir dann 2014 gemessen, und festgestellt, dass es nochmals kleiner als das der bisher kleinsten gemessenen Reusenpflanzen-Art war. Bisher hat diesen „Rekord“ noch keine weitere Art unterboten. Für die Molekularbiologen und Genetiker sind diese sehr kleinen Pflanzengenome interessant für die Forschung. Es geht darum, wie es möglich ist, Erbinformation so stark zu reduzieren, und warum einige Pflanzen so kleine Genome haben, andere dagegen sehr große.

Zu einer Ihrer weiteren Entdeckungen gehört eine neue fleischfressende Pflanze aus der Gattung Sonnentau (Drosera). Wie kam es zu dem Fund?

Dr. Andreas Fleischmann: Die Gattung Sonnentau ist ein „Spezialgebiet“ von mir – daran forsche ich weltweit, und zusammen mit Kollegen entdecken wir auch immer wieder neue Arten. Weil die Sonnentau-Arten mit ihren glitzernden Klebefallen so auffällig sind, werden diese Pflanzen auch immer wieder gerne fotografiert. So finden sich auch immer wieder mal Fotos dieser Pflanzen in den sozialen Medien. 2014 haben wir eine sehr große, neue Sonnentau-Art aus Brasilien anhand von Fotos auf Facebook entdeckt, und die Pflanze dann am Wuchsort selbst studiert und 2015 als neue Art, Drosera magnifica, veröffentlicht. Es ist eine der ersten Arten, die auf sozialen Medien entdeckt wurden, und nebenbei auch noch die größte Sonnentau-Art Amerikas. Dieses Jahr haben wir sechs neue Sonnentau-Arten aus Australien beschrieben, von denen vier anhand von Fotos auf sozialen Medien und von Bürgerwissenschaftler:innen (Citizen Science) entdeckt wurden.

Was fasziniert Sie eigentlich so an fleischfressenden Pflanzen?

Dr. Andreas Fleischmann: Diese Pflanzen faszinieren mich schon seit meiner Kindheit. Zunächst war es die Begeisterung darüber, wie es diese Pflanzen mit raffinierten Tricks schaffen, Insekten anzulocken, zu fangen und als Zusatznahrung („Dünger“) zu verdauen. Dann kam aber schnell die Begeisterung über die ungeheure Artenfüllen hinzu – es gibt zwar „nur“ 860 Arten von fleischfressenden Pflanzen (verglichen mit weltweit ca. 330 000 Pflanzenarten also nur ein winziger Bruchteil), aber die Formenfülle und unterschiedliche Biologie sind unglaublich.

Ich beschäftige mich auch mit stammesgeschichtlicher Entwicklung (Phylogenie) und Evolution dieser Pflanzengruppen, und in den letzten Jahren auch zunehmend mit den organismischen Interaktionen zwischen fleischfressenden Pflanzen und Insekten. Interessanterweise werden alle fleischfressenden Pflanzen von Insekten bestäubt. Man sollte meinen, das wäre ein Problem, doch kaum eine dieser Pflanzen frisst ihre Bestäuber; auch das ist ein spannendes Forschungsfeld. Es gibt auch Insekten, die es gelernt haben, als Bewohner auf fleischfressenden Pflanzen zu leben.

Und nun noch eine vielleicht nicht sehr wissenschaftliche Frage: Sind fleischfressende Pflanzen wirklich nützlich gegen Mücken und Fruchtfliegen?

Dr. Andreas Fleischmann: Es gibt zwar fleischfressende Pflanzen, wie einige Sonnentau-Arten, die recht effektiv Mücken oder Fruchtfliegen fangen. Aber diese Pflanzen als Zimmerpflanzen in der Küche oder im Schlafzimmer zur „Bekämpfung“ für diese Insekten ist nicht ganz einfach. Denn fleischfressende Pflanzen gehören schon zu den schwierigen zu haltenden Pflanzen, sie sind schon anspruchsvoller. Da muss der Platz stimmen, genügend Licht (durch Isolierglasscheiben im Haus kommt z.B. schon zu wenig UV-Licht, als das ein Sonnentau da noch gut wachsen könnte), mit kalkhaltigem Leitungswasser darf man sie auch nicht gießen. Ich kultiviere bei mir zu Hause einige hundert fleischfressende Pflanzen (unter anderem auch für meine wissenschaftliche Forschung) – die stehen bei mir aber im Gewächshaus, wo sie gut wachsen, und nicht im Haus zum Insektenfangen. Dort sind Mückenschutzgitter und Fruchtfliegenfallen wohl effektiver…

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